Freitag, 15. Februar 2013

Wenn ich groß bin werde ich Spießer...

ich bin einer gut bürgerlichen Familie aufgewachsen. Glaubten zumindest alle die unsere Familie kannten und ich als Kind selbst auch, ich wusste es ja nicht besser. Dass das nur eine große Inszenierung war merkten die Leute Jahre später und manche auch nie, mindestens erkannten viele niemals die Dimensionen des Schauspiels. Mir wird heute noch schlecht, wenn ich darüber nachdenke, aber das ist ein anderes Thema.

Meine ältere Schwester rebellierte als Teenager in dem sie alles das tat, was Eltern graue Haare wachsen lässt. Sie "verabschiedete" sich mit 13 von der trauten Familie indem sie sich eine "Ersatzfamilie" suchte. Ein paar Bauersleute, die ihr Geld mit Schweinezucht verdienten. Einer der Söhne der 3-4 Jahre älter als meine Schwester war, hatte sich irgendwann ein Haflingerpony angeschafft, das meine Schwester nun unter ihre Fittiche nahm. Die meiste Zeit verbrachte sie auf dem Bauernhof, manchmal übernachtete sie auch dort. Das tat sie auch gegen den Willen meiner Eltern, aber die kamen nicht an sie ran. Für meine Schwester waren meine Eltern unerträgliche Spießer und dies erklärte sie auch regelmäßig.

Ihre Freunde waren das, was man damals landläufig Bombenleger nannte. Langhaarige, unrasierte Typen die in sackigen Strickpullies und Jeans herum rannten und auch mal gern den einen oder anderen Joint, vielleicht auch anderes konsumierten. Auch meine Schwester hat bis heute einen Hang zu sackartigen Kleidern, obwohl sie eine durchaus gute Figur hat.

Mit 16 schmiss sie die Schule, lernte Heilerziehungspflegerin und brachte sehr zum Leidwesen meines Vaters ihre Schutzbefohlenen mit zu uns nach Hause. Das erfreute meinen Vater - gelinde gesagt - nur mäßig, weil er als Selbständiger sein Büro zuhause hatte und es nun mal nicht so optimal ist, wenn Kunden mit einer Gruppe geistig Behinderter konfrontiert werden. Das ist vielleicht nicht ganz politisch korrekt, aber entspricht nun mal der Tatsache. In einem solchen Geschäft, wollen die Leute ihre Probleme gelöst haben und nicht unerwartet mit behinderten Menschen konfrontiert werden, die ja auch manchmal etwas lauter und gröber im Umgang mit anderen sind. Meiner Schwester war das nicht klar zu machen. Sie nannte meine Eltern und alle anderen Spießer, die Behinderte ausgrenzen.

Irgendwann kam sie gar nicht mehr nach Hause, das war so mit 18... Eigentlich genau mit 18. Da hat sie sich eine Wohnung in der Anlage des Behindertenheimes genommen und zog endgültig aus.

Ich sah sie nur noch selten,, aber es war mir egal, wir verstanden uns nicht besonders und außerdem hatte sie mir mit ihrem Verhalten keinen großen Dienst erwiesen, weil meine Eltern es nun bei mir "besser" machen wollten, aber dazu vielleicht ein anderes mal.

Der Kontakt blieb bis heute selten, aber regelmäßig.

Irgendwann zog sie in ein winziges Kaff. Eigentlich war das Kaff eine Sackgasse und das letzte Haus dieser Sackgasse, war eine kleine Hütte mit 2 Zimmern und ohne die üblichen Standards wie fliesend Wasser und Zentralheizung, aber es hatte einen Garten und sie wohnte dort mit ihrem Freund und späteren Ehemann (für die Hochzeit leihte sie sich von mir einen Jeansrock, weil sie selbst nichts ordentliches hatte. Ich hätte aber auch noch geeignetere "Brautkleider" gehabt, aber die verschmähte sie), ein paar Hühnern und Ziegen. Sie wurde schwanger und ein Junge erblickte das Licht der Welt, meine Schwester war mittlerweile 24. Ihr Mann war nicht von Schaffhausen und meine Schwester verdiente das Geld. Irgendwann zog sie aus, der Junge war mittlerweile 3 und wie sich herausgestellt hatte, geistig behindert.

Ich half ihr natürlich sowohl beim Umzug als auch finanziell. Ist ja meine Schwester.

Nach einigen Jahren, sie war längst geschieden und wohnte mittlerweile in einer sehr bürgerlichen Gegend noch weiter weg von Provinzstadt, in einer 4-Zimmerwohnung,  heiratete sie ihren Nachbarn. Das krasse Gegenteil von ihrem bisherigen Beuteschema. Man kann ja viel über ihren ersten Mann sagen, aber er ist freundlich und intelligent, vielleicht war er damals nicht gerade fleißig und verantwortungsbewusst, aber das hat sich mittlerweile geändert, denn er sorgt vorbildlich für seinen ältesten Sohn (er hat mittlerweile noch weitere Kinder aus zweiter Ehe) Politisch gesehen war er eher links orientiert.

Ihr neuer Mann, war aber ein A.... Ein tyrannischer Spießer, mit kurzen Haaren, fast Glatze und auch seine politische Richtung war tendenziell eher rechts. Ich war an der Hochzeit ziemlich entsetzt mit welchen ausländerfeindlichen und platten Parolen er daher kam. Passte so überhaupt nicht zu meiner Schwester.

Faul war er nicht, aber eben keine Leuchte und entsprechend war sein Verdienst. Meine Schwester hatte mittlerweile das Abi nachgeholt und Sozialpädagogik studiert (nein fragt nicht) arbeitete sich wieder krum und bucklig, auch als der zweite Sohn auf die Welt kam.

Sie kauften sich ein Reihenhaus in Museumsstadt und bald darauf wurde die Scheidung eingereicht. Ein Rosenkrieg mit gezanke ums Haus und ums Kind. Wie es nun mal leider so häufig passiert.

Jetzt wohnt sie in mit ihrem jüngeren Sohn und ihrem neuen Freund, wieder ein Bombenleger, eigentlich ein recycelter Exfreund, in dem Haus. Der ältere Sohn ist mittlerweile Volljährig und wohnt in einem betreuten Wohnheim.

Sie arbeitet als Sozialarbeiterin 120 % und ihr Freund schneidet hin und wieder Bäume von solventeren Menschen aus, aber darauf reduziert sich auch sein Einsatz (mindestens was ich so mitbekomme)

Was mich aber total irritiert. Sie ist trotz dieses eigenwilligen Lebens eine Spießerin wie ich es schlimmer noch nicht gesehen habe. Ihr ganze Leben dreht sich um putzen und darum was die Nachbarn denken könnten, da ist nichts mehr von den alternativen Lebensstil übrig geblieben, den sie mal so sehr verteidigt hat. Ne, also wirklich. Irgendwie ist sie seltsam.



7 Kommentare:

  1. Ist ja leider oft so, dass viele ihre Ideale im Laufe des Lebens verlieren. Ich nehme mich da wohl auch nicht aus.

    Deine Schwester ist natürlich krass unterwegs.

    LG

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    1. Die war schon immer krass, egal in welche Richtung:-)

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  2. Wie überaus interessant, ein Einblick in das familiäre Umfeld der Lady!

    Ja, Geschwister... ich habe keine, aber was ich mitbekommen habe bisher, schlägt ebenfalls ausnahmslos in die Kerbe, dass EINE/R in ganz genau die gegenteilige Richtung loszieht wie der/die ANDERE.

    Was die Fragestellung in Deinem letzten Absatz betrifft:

    Ich fand die Bauspar-Werbung vor einigen Jahren im TV dbzgl. gar nicht schlecht, wo das Mädchen zum Papa sagt
    "Wenn ICH mal groß bin, werde ich AUCH Spießer!"

    Irgendwo will man eben doch seine Träume und Werte mal kombinieren mit Verlässlichkeit und Planbarkeit und wirtschaftlicher Stabilität im Leben. Sogar als Schwester der Lady :-).

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    1. Na ja, ich könnte ja auch mal ein 7-Dinge machen, aber ich glaube ich falle da ganz weit ab, wenn ich mir deine und Goldis 7-Dinge anschaue, deshalb die Geschichte meiner Schwester;-)

      Wenn du wüsstest wie recht du mit dieser Bauspargeschichte hast.

      Willst du mir etwa sagen, dass ich meine Schwester unterdrücke?;-)

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  3. "Spiessig" werden hat auch etwas sehr erholsames,solange es nicht von einem Putzfimmel oä.dominiert wird.
    Wenn mir mit 18 einer prophezeit hätte,was heute meine Realität ist...mit Kind+Hund+Bausparvertrag...den hätte ich ausgelacht und ihm ein "NIEMALS!!!" entgegen geschleudert.

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    1. Klar kommt es immer anders als man denkt, aber muss das in einem Putzfimmel ausarten?

      Selbst ihre Kleiderschränke sehen aus, wie aus einem schöner Wohnenkatalog. Ja, man kann auch Sackpullis auf ein einheitliches Format falten. Das finde ich das eigentlich faszinierende;-)

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    2. Nein,muss es nicht.Hätte auch Waschzwang werden können.;-)
      So komplett "abgeleckte" Wohnungen,bis in die letzte Kleiderschrank-Ecke finde ich extrem gruselig.
      Ich frag mich dann,was die Leute für Leichen im Keller haben,wenn nicht mal ein Fingerchen davon auf dem Wohnzimmertisch liegt.

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